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Schüler aus dem Beruflichen Gymnasium werden zu Schöffenrichtern in von Schirachs „Terror“

Einen dramatischen Vormittag erlebten acht Kurse aus dem Beruflichen Gymnasium des Berufskollegs, die das Wolfgang Borchert Theater in Münster besuchten. Das Ensemble führte für die Schulgruppe das Drama „Terror“ auf, das Ferdinand von Schirach im Jahr 2015 veröffentlichte und seitdem zum meistgespielten Bühnenstück in Deutschland avancierte, gleichzeitig auch in zahlreiche Sprachen der Welt übersetzt wurde.

Nahezu alle Kurse hatten das Stück ohnehin schon im Unterricht behandelt und waren mit den Kernfragen vertraut: Welchen Preis hat die Würde des Menschen? Was darf man als das kleinere Übel in Kauf nehmen? Kann man Menschenleben mit Menschenleben aufwiegen. Festgemacht werden diese Fragen am Prozess gegen Lars Koch, voller Anspannung dargestellt von Florian Bender, der als Kampfpilot der Bundeswehr eine Passagiermaschine abschoss. Diese war von Terroristen gekapert und auf das volle Münchner Fußballstadion gesteuert worden. Koch schoss die Maschine im letzten Moment ab, allerdings ohne den Befehl seiner Vorgesetzten dafür erhalten zu haben. Die rechtsgeschichtlichen Hintergründe, moralischen Annahmen und aktuellen Entscheidungen des Bundestages und des Bundesverfassungsgerichts wurden in der Inszenierung von Meinhard Zanger von der zielstrebigen Staatsanwältin Nelson (Ivana Langmajer), der lässig-wehrhaften Verteidigerin Biegler (Marion Mainka) und der souveränen Vorsitzenden (Monika Hess-Zanger) in vielen Details und Facetten diskutiert, bevor das Schicksal in die Hände der Schülerinnen und Schüler gelegt wurde: Wie bereits zu Beginn des Prozesses erläutert hatten diese die Rolle der Schöffinnen und Schöffen inne. Also folgten sie dem Prozess aufmerksam und hochkonzentriert, nach den Plädoyers diskutierten sie mit den anderen in der Pause über Schuld und Recht, Verantwortung und Freiheit. Natürlich sprach man auch über die Inszenierung und die einzelnen Figuren, im Mittelpunkt stand aber die Schuldfrage, die beantwortet werden musste. Nach der Pause kehrten sie im „Hammelsprung-Verfahren“ in den Gerichtssaal zurück, je nach Eingangstür stimmten sie für „schuldig“ oder „nicht schuldig“. Das Stimmenverhältnis war mit 8 zu über 100 Stimmen mehr als eindeutig, der Angeklagte nahm die Urteilsverkündung erleichtert auf.

Obwohl alle noch belustigt schmunzelten, als die Vorsitzende zu Beginn vortrug, dass man „natürlich kein Theaterstück aufführt“, war der Schritt ‚in das Stück hinein‘ schnell gemacht. Die Scheinwerfer wurden ausgeblendet, die Theatersitze vergessen, das Stück war zu authentisch inszeniert, um sich nicht darauf einzulassen. Nun hofft das Berufskolleg, dass für die zweite Aufführung, die wegen des Sturms am Donnerstag bereits abgesagt werden musste, noch ein Ersatztermin gefunden werden kann. Wir danken dem Wolfgang Borchert Theater sehr herzlich, dass uns die Theaterpforten für so viele Eindrücke aufgesperrt wurden.