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You are currently viewing Die Aula wird zum Epizentrum der produktiven Realitätsverarbeitung

Prof. Dr. Hurrelmann erläutert für die Erziehungswissenschaftler sein pädagogisches Modell

Ein besonderes Highlight gab es für die Schülerinnen und Schüler der Leistungskurse Erziehungswissenschaften, die mit insgesamt sechs Klassen in der Aula einen Vortrag vom renommierten Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Uni Bielefeld verfolgen durften. Bereits Schulleiter Benedikt Karrasch war die Freude über den prominenten Gast anzumerken, der auch in seiner Lehramtsausbildung Entwicklungsfragen wesentlich geprägt hat. Hurrelmann nahm diesen Gesprächsanlass geschickt auf und berichtete von Email-Anfragen, die ihn jährlich kurz vor den Abiturprüfungen erreichen, was ihn natürlich freue, da es seinen Anteil am ‚Tagesgeschäft‘ der Schulen zeige und ihn immer auf den aktuellen Stand bringe.

Grundsätzliche Fragen zu seinem Modell der produktiven Realitätsverarbeitung prägten auch den ersten Teil des Vortrags, der sich etwa mit den Zielen des Modells oder den Entwicklungsaufgaben beschäftigte. Dabei gewann der frei gehaltene Vortrag nicht nur dadurch Qualitäten, dass sich der Dozent überhaupt freute, die erste ‚Live-Veranstaltung‘ dieser Art nach zwei Jahren geben zu können. Auch die Bereitschaft, persönliche Einblicke in die eigene menschliche Entwicklung zu gewähren, hoben sich deutlich von einer klassischen Vorlesung ab. Insbesondere die Frage, wie Prof. Dr. Hurrelmann zu seinem Forschungsinhalt und Forscherdrang gekommen ist, fiel sicherlich unerwartet aus: Während in den frühen 50er Jahre aus riesigen Volksschulklassen nur sehr wenige Schüler aus privilegierten Familien das Gymnasium besuchen durften, erhielt Hurrelmann den Platz dank des beherzten Einsatzes seines damaligen Lehrers schlichtweg wegen seiner Schulleistungen. Während der schulische Erfolg sich einstellte, war dabei die Rolle unter den Gleichaltrigen der Klasse die „eines Fremden, eines sozialen Aufsteigers.“ Verschiedene Versuche, akzeptiert zu werden, scheiterten zunächst. Erst zwei erfolgreiche Nachmittage mit einem geschickten Taschendieb aus der Klasse brachten kurzfristig die ersehnte Aufnahme in die Klassengemeinschaft, mittelfristig aber handfesten Ärger mit der Polizei und den Ausschluss aus allen niedersächsischen Schulen mit sich. Erst die Schulen und Hochschulen der Hansestadt Bremen konnten die Lücke schließen und die Frage ließ ihn nicht mehr los: Wie konnte die Entwicklung diesen Irrläufer und Umweg zulassen, fast sogar erzwingen? Wie kann so ein Verhalten systematisch erklärt werden?

Dabei reklamierte Hurrelmann in der Folge keine vollkommen neu aus der Taufe gehobene Theorie, aber einen Ansatz, der zwischen Psychologie und Soziologie zum ersten Mal vermittelte und dabei die Entwicklung von innen und von außen gewissermaßen als Kompromiss anbot. Dass sich diese Idee auf verschiedenste Situationen und Fragen anwenden ließ, wurde dabei mit früheren und aktuellen Themen, von der Fridays-for-Future-Bewegung bis zu den Folgen des Ukraine-Kriegs intensiv erklärt und auf die Rolle der Erziehenden angewendet. Das Modell blieb also auch hier nicht ‚grau wie alle Theorie‘, sondern lieferte Ziel und Mittel pädagogischer Arbeit.

Mit Freude und Interesse wurde die an den Vortrag angeschlossene Fragestunde aufgenommen, bei der Kern- und Lernfragen des Modells („Was bedeutet es, wenn einzelne Aspekte des Modells ausfallen?“) bis hin zu grundsätzlichen Fragen („Wie entwickeln Sie und Ihr Team das Modell weiter?“ oder „Woran merke ich, dass ich bei dynamischen Entwicklungen wie den Medien eine Phase abgeschlossen habe und ich medienkompetent bin?“) von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Lehrerinnen der Kurse gestellt und von Prof. Dr. Hurrelmann souverän beantwortet wurden. Nicht nur Kerstin Koch, die den Kontakt zum Dozenten hergestellt hatte, die Kolleginnen und Schülerinnen und Schüler, auch Klaus Hurrelmann freute sich über die intensive und angeregte Fragestunde. Und natürlich gab sie ihm auch in seinen Ausführungen recht: Die aktuelle Jugend und junge Erwachsene sind wieder eine Generation, die sich beherzt für ihre Themen einsetzt, die politisch mitwirken möchte und Dinge hinterfragt. Wie schön, dass sich Theorie und Praxis an diesem Nachmittag so schön bestätigt haben.